Um eine Idee von der Bewegung zu vermitteln, werde ich mich den Themen Entstehung und Entwicklung, Musik und Lebenswelt widmen, wobei sich gewisse Überschneidungen nicht vermeiden lassen. Ersteres beschreibt die Entstehungsgeschichte und die Entwicklung bis heute. Das Thema Musik versucht anhand von einigen Beispielen den Stellenwert der Musik darzustellen. Das Thema Lebenswelt befaßt sich mit den Menschen, die die Gothic-Bewegung tragen, das heißt ihre Motivation, den Lifestyle, die Ideen, die Weltanschauung. Außerdem möchte ich vorab noch auf die Problematik der Begriffe eingehen sowie ein paar einleitende Sätze zum Gegenstand dieser Arbeit, der Gothic-Szene mitgeben.
Als Quellen dienen mir u.a. meine
eigene langjährige Bewegung in der Szene, einige speziell für diese Arbeit durchgeführete
Interviews, viele Gespräche über die Jahre hinweg sowie die FAQ der Gothic-Newsgroups.
Ich hoffe, daß mir mit diesem Hintergrund wenn auch keine vollständige, so doch
eine im Gegensatz zu anderen Publikationen ernstzunehmende kleine Vorstellung
der Szene gelungen ist.
Begriffe
In Verbindung mit der Gothic-Szene
tauchen eine Vielzahl von Begriffen auf, die verschiedene Musik-Richtungen, Bewegungen
oder Personengruppen beschreiben wie z.B. New/Cold/Dark Wave, Grufti, New Romantic,
Industrial, Neofolk etc. Ich werde auf die einzelnen Begriffe gleich aus mehreren
Gründen nicht eingehen und sie so weit wie möglich vermeiden.
Erstens lassen sich die einzelnen Musikrichtungen nicht klar voneinander abgrenzen. Zweitens sind viele dieser Bezeichnungen im Nachhinein der Musik übergestülpt worden; sie wurden erst viel später als die Musik erfunden. In den späten 70ern, frühen 80ern sprach man größtenteils von Underground als Abgrenzung zum Pop, heute unterteilt man gern akribisch in Wave, New Wave, Dark Wave, Gothic, Gothic Rock etc pp. Zum anderen hat sich die Benutzung der Begriffe mit der Zeit gewandelt. Heute werden Stile als xy-Wave bezeichnet, die früher als Electro-Punk o.ä. angesehen wurden. Drittens tragen sie nicht wirklich zum Verständnis bei, sie dienen vielmehr zu Streitgesprächen.
Im Folgenden werde ich von der Gothic-Szene allgemein sprechen. Nicht alle Personen, die sich in diesem Umfeld bewegen, nennen sich Goth oder würden von anderen so bezeichnet werden. In dieser Arbeit werde ich aber im Allgemeinen von Goths sprechen, um nicht mit akribischen Bezeichnungen Verwirrungen zu stiften.
Der Rest der Menschen, die keiner Subkultur anhängen, wird häufig als Normalos bezeichnet. Wenn dieser Begriff auch nicht ideal ist, werde ich ihn in dieser Arbeit ebenfalls benutzen, um nicht immer auf lange Umschreibungen zurückgreifen zu müssen.
Um die Szenerie zu beschreiben,
nutze ich den Begriff Szeneleben oder Lebenswelt. Das Szeneleben
spielt sich hauptsächlich auf diversen Parties ab. Unter diesen Parties hat
man sich sporadische öffentliche Disco-Events vorzustellen, die in unterschiedlichen
Discos oder anderen Veranstaltungsorten stattfinden.
Die Gothic-Szene
Wenn man über die Gothic-Szene
spricht, kann man entweder den ursprünglichen Gothic meinen, d.h. die Jugendbewegung,
die in den späten 70ern/frühen 80ern entstand, oder aber die Szene, die man heute
auf diversen Parties antrifft. Der Unterschied ist, daß die heutige Szene im eigentlichen
Sinne gar keine mehr ist. Gothic ist nur noch ein Teil eines größeren Ganzen,
wenn auch hier die Wurzeln des Ganzen zu finden sind. Während sich früher einzelne
Jugendgruppen viel stärker voneinander abgegrenzt haben, findet man heute ein
viel toleranteres und dementsprechend auch durchmischteres Publikum. Auf heutigen
Gothic-Parties trifft man Menschen, die dem ursprünglichen Goth anhängen, andere
kommen eher aus der Pop-Ecke, wieder andere (in zunehmendem Maße) preferieren
den harten Electro-Sound und der Metal nimmt auch immer mehr Einfluß auf die Szene
und die Musik, um nur einige Beispiele zu nennen.
Laut FAQ [1] wurde der Begriff Gothic wurde wahrscheinlich 1978 von A.H. Wilson (Manager von Joy Division) zum ersten mal benutzt, um die Musik von Joy Division zu beschreiben.
Das Oxford English Dictionary liefert als Defintion von Goth [1]:
Ich werde anhand der historischen
Entwicklung die Wurzeln sowie die dynamische Seite der Szene aufzeigen, d.h.
mich nicht nur auf den ursprünglichen Gothic beschränken. Darüber hinaus werde
ich mich auf die heutige Szene beziehen.
Entstehung und Entwicklung
Wie man keine zwei Goths finden
wird, die eine gemeinsame Meinung über die Gothic-Szene haben, gibt es auch keine
zwei, die sich über die Entstehungsgeschichte einig sind, z.B. was wichtig oder
weniger wichtig war. Möglicherweise liegt es daran, daß die Personen, die die
Anfänge miterlebt haben, zu differenzierte Vorstellungen hatten. Schließlich sammelten
sich unter der Gothic-Fahne sehr unterschiedliche Menschen. Vielleicht rührt es
aber auch daher daß man heute andere Dinge mit Gothic verbindet als damals und
so Verwirrungen auftreten. So sagen die einen, die Wurzeln des Gothic liegen ausschließlich
im Punk, andere behaupten, sie lägen im Punk und Wave, wieder andere meinen, New
Romantic gehöre dazu (z.B. [4]) und die ersten widersprechenn dem vehement (z.B.
[3]).
Daß die Wurzeln im Punk und in England respektive London liegen, wird nicht bestritten. Viele Bands fingen mit Punk-lastiger Musik an um sich dann anders zu orientieren, wie z.B. Siouxsie and the Banshees oder The Cure. Aber schon die Frage, welche Bands anfangs die Hauptrolle spielten, ist ebenfalls umstritten, ist auch nicht konkret festzustellen, was sicherlich auch nicht sinnvoll wäre. Meines Erachtens läuft die Entwicklung schubweise bzw. mehrgleisig:
Ende der 70er enstehen in der Post-Punk-ära z.B. Christian Death, Joy Division. Auch Siouxsie and the Banshees, Bauhaus u.v.a. formieren sich zu dieser Zeit. Mitte der 80er Jahre gibt es eine Art zweite Welle, inzwischen stehen Bands wie Bauhaus, Sisters of Mercy, Siouxsie and the Banshees, Alien Sex Fiend, The Mission, Fileds of the Nephilim oder The Cure im Vordergrund. Anfang der 90er Jahre entsteht eine neue Musik, die gerne scherzhaft unter der Bezeichnung Neue Deutsche Todeskünstler zusammengefaßt wird (oft auch beschimpft als pseudopathetisches Geschmalze [9]), repräsentiert durch Gruppen, wie Goethes Erben, Das Ich, Lacrimosa u.a. Ab Mitte der 90er nehmen Electro- und Metal-Elemente immer größeren Einfluß auf das Musikgeschehen. Man kann diese Bereiche bzw. Zeitabschnitte allerdings nicht derart voneinander trennen. Sie überschneiden sich, beeinflussen sich gegenseitig, leben weiter etc.
Anfangs wurde Musik, aber noch keine
Jugendbewegung als Gothic bezeichnet.
In den Anfangsjahren spielte sich alles um Live Bands ab. Erst später kristalisierite
sich eine zugehörige Mode heraus, beeinflußt durch die äußere Erscheinung von
z.B. Bauhaus oder Siouxsie. Als 1982 in London der Batcave Club eröffnet wurde,
entstand auch eine Clubszene, fand die Szene den Weg in die Öffentlichkeit,
wurde außerhalb wahrgenommen. Zwar war er nicht als Gothic Club konzipiert,
sondern eher am Glam orientiert, dennoch fanden sich dort viele dieser Personen
der später mehr ausgeprägten Gothic-Szene, da sie ebenfalls einen Faible für
den Glam von David Bowie und anderen Bands teilten. Im Batcave traten immer
häufiger düstere Bands auf wie zum Beispiel Alien Sex Fiend und Specimen, woraufhin
die Musik dieser Bands später als Batcave-Musik tituliert wurde. Durch die Bands,
die immer düsterer werdende Musik vom Plattenteller und natürlich durch das
entsprechende Publikum wurde der Batcave Club immer mehr zum Inbegriff der Gothic
Szene [3].
Mit der Zeit verbreitete sich der Einflußbereich des Gothic, fand den Weg auch u.a. nach Deutschland. Es gab immer mehr Clubs, in denen diese Musik gespielt wurde.
Die Szene verstand sich als Underground, wollte sich von Pop, Chart-Musik und von Kommerzialisierung distanzieren und degradierte die Normalos als intolerant. Innerhalb der Gruppe entstanden jedoch ebenfalls gewisse Verhaltensregeln und Dresscodes, an die man sich zu halten hatte, um dazuzugehören. Einige erzählen, daß es Mitte bis Ende der 80er Jahre Rangordnungen nach Anzahl der Schnallen an den Schuhen gegeben haben soll.
Zu dieser Zeit haben sich einzelne Subkulturen herausgebildet, die sich sehr stark voneinander differenziert und kaum miteinander kommuniziert haben. Teilweise haben sie sich sogar bekriegt, wie ein Zeitzeuge in [7] berichtet:"Ein Vorteil, zu keiner dieser Gruppen zu gehören, war zweifellos, daß es niemanden gab, der einem unbedingt aufs Maul hauen wollte." Somit kann man auch hier eine gewisse Intoleranz erkennen.
Ab Anfang der 90er Jahre kann man eine deutliche Tendenz zur Öffnung der Szene feststellen. Das Publikum hat sich merklich vergrößert, ist aber auch durchmischter geworden. Scheint zu Anfang das Zusammengehörigkeitsgefühl über die Musik noch sehr wichtig gewesen zu sein, findet man heute kaum noch etwas, was die große Masse verbindet außer vielleicht einen undifferenzierten Hang zur Farbe Schwarz. Viele interessieren sich nicht mehr für die Musik, zu der sie in der Disco tanzen, geschweige denn, die Bands live zu sehen. Dieses Phänomen macht sich nicht nur, aber besonders im Electro-Bereich, in dem in den 90erJahren viele Bands entstanden sind, bemerkbar.
Auch hat generell die Neugier auf neue Bands nachgelassen. Man verläßt sich auf die bekannten Größen und ist damit zufrieden. Viele DJs beschränken sich in zunehmendem Maße auf Hits innerhalb dieses musikalischen Umfelds, sorgen sich um ihre gefüllte Tanzfläche und haben geradezu Angst davor, unbekanntere Musik zu spielen. Man kann daraus schließen, daß die Szene inzwischen ihrem eigenen Kommerz verfallen ist und keinen wirklichen Gegenpol mehr zu Chart-Szene darstellt, aus der sie anfangs fliehen wollte.
Es finden sich heute auf den größeren Parties zunehmend Personen, die den neuen harten Sound sowie die Atmosphäre der Gothic-Szene mögen, ansonsten aber nichts damit zu tun haben und sich auch nicht damit identifizieren. Ein Goth hat mal in einem Gespräch behauptet, die Neuen lebten nur von dieser Athmosphäre ohne etwas eigenes zu geben und sich selbst einzubringen. Das mache die Gothic-Szene kaputt.
Aus der heutigen Größe und Vielfältigkeit heraus ist allerdings auch eine Art Zersplitterung entstanden. Man findet kaum noch Parties, auf denen das ganze Spektrum der Musik gespielt wird. Dafür bekommt man Spezialparties mit Spartenmusik geboten, was wiederum ein familiäres Gefühl fördert, wenn die entsprechende Party klein genug ist.
Musik
Wie schon erwähnt, gibt es eine
unzahl von Musik-Stilen und entsprechenden Begriffen innerhalb des Gothic, die
ich hier weder alle aufzählen, noch ausführlich beschreiben oder kategorisieren
möchte. Auffällig aber ist, daß die Musik sehr facettenreich und nicht als ein
Stil beschreibbar ist.
Die im Abschnitt Entstehung und Entwicklung beschriebenen Bands kann man als die Hauptströmung, wenn auch nicht als musikalisch gleichartig bezeichnen. Daneben existieren aber allerlei Randerscheinungen, die hier ihren festen Platz haben und die man in üblichen Diskotheken wohl nie zu hören bekommt, wie Apocalyptik Folk, Heavenly Voices, Minimal-Electro, Industrial u.v.m. Die Musik variiert von mittelalterlich mit akustischen Instrumenten bis modern und ausschliesslich elektronisch konstruiert; von sehr lauten und apokalyptischen Klängen bis melancholisch und düster; von betont rhythmisch bis sehr langsam und getragen; von sehr depressiven Stimmungen bis hin zu spaßiger Partymusik. Eine zwar nicht vollständige aber akzeptable Kategorisierung und Beschreibung einzelner Stile finden sich unter [5].
Ich kann nicht alle diese Bereiche
hier berücksichtigen und beschreiben. In diesem Abschnitt widme ich mich den
Künstlern und dem Publikum sowie den Themen der Songs anhand einiger Hörbeispiele,
ohne sie allerdings bestimmten Musik-Bereichen zuzuordnen.
Musiker
Die Musiker aus dieser Szene gelten
gemeinhin als sehr kreativ und umgänglich. Viele verstehen sich selbst eher als
Künstler denn als Musiker, d.h. sie betrachten ihre Musik, die Lyrik, Bühnenshow,
Cover Art und Outfit als Gesamtkunstwerk. Dazu gehört auch die Eigendarstellung:
meistens treten die Künstler in extravaganten Outfits auf, oft liefern sie auch
eine avangardistische bis theatralische Bühnenshow, die die Art oder Aussage der
Musik unterstreichen soll.
Superstars im eigentlichen Sinne gibt es nicht, allerdings Größen, an die das Publikum neue Bands nicht herankommen läßt. Zu denen zählen Alien Sex Fiend, Bauhaus, Fields Of The Nephilim, um nur einige zu nennen. Sie werden nach wie vor glorifiziert (auch wenn die Band nicht mehr existiert) und an ihnen werden die Newcomer-Bands gemessen. Heute scheint das Publikum Neuem eher skeptisch gegenüber zu stehen, was vielleicht an den großen Bands, die Kult-Status geniessen und alles überschatten, liegen könnte, denn laut Erzählungen soll das früher anders gewesen sein.
Das Verhältnis zwischen Musiker und Publikum ist meist sehr nah. Die mehr oder minder lokalen Größen kennt man, weil sie aus den eigenen Kreisen stammen. Desweilen tauchen Musiker auf After Show-Parties auf, was ebenfalls eine vertraute Athmosphäre schafft. Wie ein Interview-Partner sagte:"Man kennt seine Pappenheimer" [9].
Themen
Im Folgenden möchte ich anhand
einiger ausgewählter Bands und Songs einen Einblick in die Themengebiete der Texte
geben.
Die Themen der Songtexte sind nicht so starr auf Tod, Verfall und Vampire festgelegt, wie das Klischee meist behauptet. Dennoch findet man die destruktive und düstere Seite des Lebens häufiger behandelt als in anderen Musikstilen. Als ein Meister der Depression gelten Joy Division, für deren Musik auch der Begriff Gothic wahrscheinlich das erste Mal Verwendung fand. Der Sänger soll auch auf der Bühne eine sehr depressive Austrahlung gehabt und sich kaum bewegt haben. Bezeichnenderweise beging er Selbstmord. Der Song Love will tear us apart gibt ein Beispiel für die thematisierte Verzweiflung.
Bauhaus haben den Kult um die Vampirwelt geprägt. Sie hatten u.a. ein Faible für morbiden Kitsch und den Vampirdarsteller Bela Lugosi, dem sie 1979 ihre erste Veröffentlichung mit dem Song Bela Lugosi's Dead gewidmet haben. Obwohl sie immer den Wunsch hatten, einen Hit zu landen und es auch schafften [6], bleibt ihre Musik über alle Veröffentlichungen hinweg sehr avantgardistisch, teils düster und langsam. Die Themen und die Athmosphäre haben viele spätere Bands ebenfalls aufgegriffen und spiegeln auch die Interessen des Publikums wider.
Alien Sex Fiend geben ein Beispiel für sehr morbiden Humor. Mit dem Song Her Cum Germs z.B. machen sie sich über die paranoide Angst der Amerikaner vor Bakterien lustig. Ihre Musik ist äußerst verspielt und kraftvoll. Andere Texte handeln häufig von Erfahrungen mit Drogen und von Außerirdischen.
Die Einstürzenden Neubauten sind bekannt für ihre sowohl musikalische als auch lyrische Umsetzung der destruktiven Elemente unserer Gesellschaft. Sie haben industrielle Geräuschkulissen in der Musik zwar nicht erfunden, dafür aber salonfähig gemacht. Nach meiner Ansicht bringt der Song Kollaps dieses zerstörerische Element auf den Punkt.
Gesellschaftskritik in Richtung Resignation findet man zum Beispiel bei Fad Gadget in dem eher minimalistischen Song The Box. Hier versinnbildlicht die Box die gesellschaftlichen Grenzen, aus der der Sänger herausgeholt werden möchte, aber auch alle anderen mit ihm (''Let me out! .... Let us out!''). Die Band liefert mit Collapsing New People aber auch ein Beispiel für die Resignation über die eigene Szene, indem das Verhalten des Publikums in einer Disco beschrieben wird.
Ein Thema, das man immer wieder bei fast allen Bands findet (natürlich nicht nur im Gothic-Bereich) ist Liebe bzw. Erotik. Sisters of Mercys Body Electric ist ein Beispiel dafür, das sehr viel mit erotischen und anzüglichen Metaphern spielt. Bevor Bauhaus den Song Bela Lugosi's Dead schrieb, diskutierten sie über die Erotik von Vampiren. Auch mit dem Tod wird sich in Songs auseinandergesetzt, hier kann man wohl The Cure als Paradebeispiel anführen. Ebenso findet man Texte über die Umwelt, die Mitmenschen, Romantik, Aussenseiter u.v.m.
Es zeigt sich also, daß die Texte so vielfältige Themen zum Gegenstand haben, wie in anderen Musikrichtungen auch. Dennoch ist hier das Bedürfnis nach der Thematisierung eigener Probleme und die depressiven bzw. melancholischen Aspekte des Lebens sehr stark.
Lebenswelt
In diesem Abschnitt widme ich mich
dem Thema, was die Menschen in der Szene verbindet, warum sie hier sind, also
die außermusikalischen Themegebiete.
Die Fragen, die ich hier zu beantworten versuche, beschäftigen sich damit, warum sich Menschen dieser Bewegung anschließen, warum sie schwarz tragen und einen ähnlichen Musikgeschmack haben. Was bietet diese Szene den überwiegend Jugendlichen? (Bei den im Internet dirkutierenden Goths der deutschen Newsgroup ist das Durchschnittsalter laut [2] übrigens 26,4 Jahre!) Was macht sie attraktiv, was bedeutet sie dem Einzelenen? Gibt es eine bestimmte Gesinnung? Auch hier ist es wieder sehr schwer, eine zufriedenstellende Antwort zu geben.
Motivation
Das erste, was man bei Gesprächen
mit Anhängern der Szene feststellt, ist, daß jeder eine andere Motivation hat,
die ihn der Szene nahe brachte und daß die Szene für jeden etwas unterschiedliches
bedeutet. Das kann man in diesem Sinne wahrscheinlich von jeder Subkultur behaupten.
Auffällig ist aber, daß ein wirklich gemeinsames Motiv nur sehr schwer auszumachen
ist. Es gibt kein klares Ziel, das man gemeinsam erreichen möchte wie z.B. bei
politisch orientierten Jugendkulturen. Es gibt auch keine gemeinsame Weltanschauung,
die es zu vertreten gilt. Aus meinen Gesprächen heraus haben sich einige wesentliche
Motivationen herauskristallisiert, die sich gegenseitig natürlich nicht ausschliessen.
Ein Hauptaspekt ist sicherlich die Musik, denn das Szeneleben spielt sich hauptsächlich auf musikalischen Events ab. Trotz der z.T. sehr unterschiedlichen Stile in der Musik bildet sie eine Art Rahmen in der sich das Geschehen abspielt. Viele sind begeisterte Tonträger-Sammler, einige veranstalten selbst Parties. Trotzdem ist nicht die Musik die Hauptsache für alle. Ebenso gibt es eine Vielzahl von Personen, die sich kaum für Musik interessieren, Konzerte sind ihnen unwichtig, zu welchen Bands sie in der Disco tanzen, wissen sie nicht.
Ein weiteres gemeinsames Merkmal, vielleicht sogar das gemeinsamste, ist der Hang zur Farbe Schwarz. Allerdings hat es heutzutage eine geringere Bedeutsamkeit, Schwarz zu tragen als noch vor einigen Jahren. Man sollte beachten, daß Schwarz heute eine Modefarbe ist, Schwarz allein reicht nicht mehr, um zu schocken, früher hingegen schon. Auch hier ist die Motivation wieder unterschiedlich, dementsprechend auch die Umsetzung.
Einige tragen zwar hauptsächlich Schwarz, kleiden sich aber dennoch sehr unauffällig, so daß man sie auf der Straße nicht der Szene zuordnen würde. Wieder andere tragen eher selten schwarz, passen ihre Kleidung aber an, wenn sie auf eine entsprechende Party gehen.
Die eben beschriebenen Personengruppen kann man eher an den Rand der Szene einordnen. Der Kern der Gothic-Szene pflegt sich auf die eine oder andere Art auffällig und exzentrisch zu kleiden. Vor allem aber nehmen sie ihr Outfit und ihre Lebensart soweit möglich mit in ihr Alltagsleben und distanzieren sich damit von sogenannten "Wochenendgrufties". Zitat hierzu von R. Vollbrecht in [8]:"Die meisten Jugendlichen orientieren sich heute an den modischen Vorgaben und Sinndeutungen der Jugendkulturen und konsumieren ihre Angebote im Freizeitbereich vor allem im Hinblick auf Ausdrucks- und Erlebnisfunktionen. Sie bleiben allerdings an den Rändern der Jugendkulturen - nur kleine Minderheiten gehören dem jeweiligen Zentrum einer Jugendkultur an und verorten sich explizit dort."
Ohne an dieser Stelle auf die einzelnen Outfits einzugehen, ist anzumerken, daß auch andere Farben getragen werden, dann aber meist eher schrille, die einen starken Kontrast zu Schwarz darstellen.
Für einige Goths hat die Farbe Schwarz durchaus eine tiefere Bedeutung. Sie möchten mit ihrer Kleidung bestimmte Ansichten nach außen tragen, wollen zeigen, daß sie in gewisser Weise anders sind als ihr normales Umfeld, daß sie andere Interessen haben. Für sie ist das Outfit nur eine Ausdrucksform, ihr Inneres ist ihnen wichtiger sowie die Gewissheit, daß sie hier ähnlich denkende Menschen finden. Sie sehen die Welt nicht aus einer rosaroten Brille und fordern nicht permanent nach dem Positiven: sie akzeptieren die Welt als einen dunkleren Platz mit all seinen Schattenseiten [5].
Obwohl sich die nach Ausdruck strebenden Ansichten von Goth zu Goth wieder stark unterscheiden können, haben sie das Bedürfnis des zur-Schau-stellen gemeinsam. Man möchte sich mit einem bestimmten Outfit abheben, bestimmte Gefühle nach außen tragen. In diesem Sinne verstehen sich einige auch als eine Art Künstler. So wie z.B. Maler ihr Inneres auf die Leinwand zu projizieren versuchen, wird hier mit Kleidung und Make-up oder auch mit Tanzstil oder überhaupt mit der Zuwendung zur Musik gearbeitet.
Dies führt uns direkt zu einem weiteren Punkt, nämlich dem Wunsch nach Individualität. Da alle Menschen Individualisten sind und die meisten es auch sein wollen, wird nach Wegen gesucht, um diesem Wunsch gerecht zu werden. Einer dieser Wege besteht darin, sich vom Mainstream abzusetzen und in eine Subkultur zu wechseln. Leider führt das sehr häufig dazu, daß man sich bewußt oder unbewußt wieder dem Mainstream anschließt, diesmal innerhalb der gewählten Subkultur.
Ich möchte noch einmal auf die Farbe Schwarz zurückkommen: Ein weiteres interessantes Phänomen war zu beobachten zu der Zeit, in der Schwarz immer populärerer wurde und viele normal schwarzgekleidete Personen in die Gothic-Szene kamen. Zu dieser Zeit wurden die Gothic-Outfits immer extremer und noch schwärzer, um sich weiterhin von der Allgemeinheit zu unterscheiden. Insofern war - und ist teilweise auch noch - Schwarz auch immer, neben anderen Funktionen, ein Werkzeug, um sich abzugrenzen.
Ein weiterer Grund, sich der Szene anzuschließen, ist der Wunsch nach Provokation. Mit der Zeit ist dieses Motiv aber immer weiter in den Hintergrund gerückt, vielleicht, weil es heute immer schwieriger wird, zu provozieren. Für Menschen mit dieser Motivation hat die Gothic-Szene meist keine besondere Bedeutung und ist einfach nur eine Subkultur wie viele andere auch, der man sich anschließen kann. Einher damit geht auch der Wunsch nach Cool-sein-wollen. Auch das kann ein Grund zum Anschluß an die Szene sein. Man findet das Outfit cool und zieht es ebenfalls an, sozusagen als eine Selbstwertaufbesserung. Die Menschen mit dieser Motivation bleiben meist nicht lange in der Szene und finden sich vorher oder nachher häufig in anderen Subkulturen wieder, die für sie dann gerade provokanter oder cooler oder auch beides sind. (Vergleiche dazu den Zeitzeugenbericht von K. Koch in [7].)
Der Hang zum Morbiden ist noch etwas, das einige Personen der Szene verbindet. So haben viele ein Faible für das Kaputte und krankhafte; das manifestiert sich zum Beispiel in (kunstvoll) zerrissenen Klamotten, in morbidem Make-up, in echter oder geschauspielerter Selbstdestruktivität. Auch die Vorliebe für das Mystische, für Vampire u.ä. spielt hier eine Rolle, oft aber vermischt mit einem Hang zum Kitsch. Hier kippen diese Vorlieben ins Spielerische, d.h. es wird mit den Metaphern jongliert und sie werden somit nicht mehr als Ausdruck ihres Inhalts benutzt.
Andererseits dient solch eine Subkultur zur Selbstfindung, in der man andere Wege als den normalen zusammen mit anderen austesten kann, d.h. man kann abseits vom Mainstream laufen, ohne die Gefahr, ganz allein kämpfen zu müssen. Nach Vollbrecht ist das ein auf alle Subkulturen anzuwendendes Phänomen:"Es zeigt sich vielmehr, daß heute [...] der Anschluß an Jugendkulturen eher situativ erfolgt - und zwar als 'als kurzfristig wirkender Stimulus eines reizvoll erscheinenden Arrangement, aufgrund der Orientierung von Freunden, die das Experiment des "Andersseins" schon eingegangen sind' "[8].
Die Gothic-Szene scheint dafür besonders geeignet zu sein, eben weil es keine bestimmten Ziele gibt; sie ist vielmehr eine Gruppe von Menschen, die anders sein will als der Rest und somit Platz für jegliche Art von Andersartigen bietet. Insofern findet sich hier auch eine große Toleranz gegenüber den unterschiedlichsten Randgruppen.
Viele diese geschilderten Aspekte lassen sich durchaus in die Kategorisierung von Alicia Porter [5] einordnen. Sie führt drei Bereiche an, aus der sich die Subkultur zusammensetzt. Zunächst benennt sie die "gothic social scene", an der eine Person teilhaben kann, indem sie die entsprechenden Parties frequentiert und viele andere Personen aus der Szene kennt. Der zweitgenannte Aspekt ist die "gothic personality", die zu besitzen jemanden wohl am ehesten zu einem Gothic mache. Eine solche Persönlichkeit zeichnet sich nach Porter aus durch Individualität, Interesse an der dunkleren Seite des Lebens und an übernatürlichem, Sinn für das ästhetische, für Kunst, Emotionen, Kreativität u.a. Das dritte ist die Vorliebe für die "gothic music". Nach Porter ist dieser Aspekt der häufigstgenannte, warum Menschen über Jahre hinweg an der Subkultur teilhaben.
Was die Szene dem einzelnen bedeutet
Mit den Interviews wollte ich auch
herausfinden, was dazugehören bedeute, was die Szene wichtig macht,
was man an ihr mag oder auch nicht mag. Es fällt auf, daß die Personen eine Art
Haßliebe zur Szene haben, denn immer wieder wird gesagt, daß das, was sie an der
Szene mögen, auch das ist, was ihnen oft daran mißfällt.
Zu der Frage, wann man dazugehört oder nicht, möchte ich einen Interviewpartner zitieren, der es auf den Punkt gebracht hat: "Man gehört mit dem Herzen dazu, that's it" [9]. Es gibt keine bestimmten Regeln, die jemanden dazugehören lassen und es ist auch nicht wichtig. Wichtig ist, ob man sich in diesem Umfeld wohl- und zugehörig fühlt. Andererseits werden nicht alle Personen, die man hier trifft, als zugehörig eingestuft, nur weil sie sich dunkel anziehen und immer wieder auf den Parties auftauchen. Es ist eben nicht einfach, hier zu differenzieren. Normalerweise ist dies auch gar nicht nötig, wohl aber, wenn sich die Szene von bestimmten Personen distanzieren möchte wie z.B. von den Schülern aus Littleton, die Anfang 1999 das Massaker verursacht hatten.
Viele Goths fühlen sich einfach durch die anderen Menschen an die Szene gebunden. Wer einige Zeit intensiv am Szeneleben teilgenommen hat, fühlt sich ihr und den Menschen ähnlich verbunden wie andere Menschen der Umgebung und den Menschen ihres Dorfes oder Stadtviertels, wenn dort die Gemeinschaft gepflegt wird. Es ist wie eine Art zweite Familie. Alle regen sich über Klatsch und Tratsch auf und trotzdem dreht man alledem nicht den Rücken zu. Man hat dort Freunde gefunden und mag die Eigenheiten der Menschen, die dort sind. Außerdem ist es natürlich reizvoll, auf Parties mit Menschen zusammenzusein, die einen ähnlichen Musikgeschmack haben .
Wie schon beschrieben, versammeln sich unter den Goths eher Menschen, die einen Sinn für das Phantastische, Mystische, Dunkle, Melancholische haben. Finden sich diese Menschen zusammen, können sehr spannungsvolle und besondere Stimmungen entstehen, die in anderem Umfeld nicht gefunden werden. Hier kann man bestimmte eigene Seiten ausleben und bekommt auch ein entsprechendes Feedback. Im Gegensatz dazu ist es viel schwieriger, sein Empfinden auszuleben in einer Umgebung, die dafür kein Verständnis hat. Es gelingt einem vieleicht mit genügend Kraft; es fehlt aber die Qualität und die Lebensfreude, weil kein Funken überspringen kann.
Es ist sicherlich bezeichnend, daß das Rollenspiel in der Szene sehr verbreitet ist. Rollenspiele sind Spiele, die auf Phantasiewelten aufbauen. Jeder Spieler übernimmt eine bestimmte Rolle mit vorgegebenem Charakter und muß versuchen, diesen Charakter möglichst glaubhaft zu verkörpern. Während des Spieles müssen allerlei Abenteuer bestanden werden, je nachdem, in was für einer Welt es spielt. Neben dem Pan&Paper-Rollenspiel, bei der mit Würfeln entschieden wird, wie es weiter geht, gibt es das Live-Rollenspiel. Dabei treffen sich die Spieler an einem geigneten Ort mit entsprechenden Verkleidungen und spielen ihre Abenteuer durch ähnlich wie ein Theaterstück. Bei dieser Form des Rollenspiels kann man noch intensiver in die Phantasiewelt eintauchen. In der Gothic-Szene wird 'Vampire' gespielt, ein Rollenspiel, welches auf einer Vampirwelt beruht. Als Handlungsort werden oft Gothic-Parties gewählt, weil man hier - sozusagen als unfreiwillige Statisten - Menschen im Umfeld hat, die äußerlich schön in die Szenerie passen.
Aber auch ohne den Kontext des expliziten Rollenspiels wird die Szene (respektive die Parties) als Bühne empfunden und/oder benutzt [9], auf der man nach Lust und Laune sich selbst oder auch etwas anderes darstellen kann. Man muß das im Zusammenhang mit der Verspieltheit, dem Sinn für Kitsch etc. betrachten. Die Szene dient sozusagen der Überzeichnung von Vorlieben, indem diese auf eine extremere Weise dargestellt werden, als es sonst möglich ist: sei es ein besonderes Outfit, ein spezieller Charakterzug o.ä.
Mit der Zeit kommt allerdings meist auch eine Ernüchterung. Nach der anfänglichen Euphorie über vermeintlich Gleichgesinnte entdeckt man Dinge, die man gerade hier nicht zu finden hoffte. Intoleranz beispielsweise, den Normalos häufig vorgeworfen, findet sich auch oder gerade hier, obwohl das eventuell auch typisch für Subkulturen sein mag. Man kann Intoleranz nun wirklich nicht den Goths allgemein vorwerfen. Auch macht sie sich auf ganz unterschiedliche Weise bemerkbar. Als ein Beispiel will ich hier anführen, daß den Normalos vorgeworfen wird, die Goths nicht zu akzeptieren. Ohne den Wahrheitsgehalt dieser Anschulgdigung zu untersuchen, fällt zumindest auf, daß viele Normalos bei den Goths auf eine ähnliche Inakzeptanz stoßen. Aber auch innerhalb der Szene macht sich eine gewisse Voreingenommenheit gegenüber verschiedenen Dingen bemerkbar. Möglicherweise ist dies auch nur menschlich.
Einige Goths beklagen die fehlende Phantasie ihrer Szene-Angehörigen. Vermutlich ist die Durchmischung von weniger phantasievollen bis zu den absoluten Phantasten bei den Goths ähnlich wie beim Rest der Bevölkerung. Trotzdem trifft man in dieser Szene eher die Menschen mit viel Phantasie, die sie auch ausleben und nutzen wollen. Und gerade diese Menschen suchen hier ihresgleichen.
Daher ist es vielleicht auch verständlich, daß in einem solchen Umfeld, welches theoretisch eine ideale Platform zur Realisierung der verrücktesten Ideen geeignet wäre, die Phantasielosigkeit anderer besonders auffällt. Andererseits werden besondere Aktionen einzelner - meist künstlerischer Art - vom Publikum sehr kritisch betrachtet oder gar ignoriert. Es entsteht dann die Enttäuschung über die vermeintlich interessierten Menschen, die einfallsreiche Angebote nicht zu schätzen wissen.
Eine Subkultur ist häufig eine Abgrenzung vom Mainstram, vom Kommerz und damit auch von dem Konsumverhalten des Otto Normalverbrauchers. So auch die Gothic-Szene. Um so desillusionierender ist dann die Erkenntnis, daß die meisten Menschen in dieser Bewegung keinesfalls diesen Dingen den Rücken gekehrt haben. Im Abschnitt über Musik haben wir gesehen, daß es eine Art lokale Hitparade gibt, der man sich auf Parties kaum entziehen kann. Aber auch außermusikalisch wird hinter Trends hergerannt. So kann man z.B. über die Jahre hinweg Modetrends ausmachen, denen eine große Anzahl folgt, wobei die Individualität der Outfits sichtlich nachläßt.
Parallel zu dieser Entwicklung sind Versandfirmen entstanden, die trendige Goth-Klamotten verkaufen. Während also zunächst die Kleidung mühselig zusammengekauft (häufig auf Reisen ins Ausland), oder selbst genäht werden mußte, gibt es heute die Garnitur von der Stange. Da nimmt es freichlich auch nicht Wunder, wenn man überall die gleichen Hemden, Hosen etc. sieht. Wenn im Prinzip auch nichts Verwerfliches an der Nutzung von Versandhäusern sein mag, so stößt es doch einigen Goths auf, daß sich Personen für besonders extravagant und subkulturell halten, aber nichts aufwendigeres dafür tun wollen, als eine Bestell-Karte loszuschicken und auf das Nachnahmepäckchen zu warten.
Gesinnung
Zuvor wurde die Philosophie der
Goths erwähnt. Man kann das so nicht stehen lassen, denn es gibt eigentlich keine
besondere Gesinnung oder Weltanschauung, die von allen geteilt wird. Einige Punkte
möchte ich in diesem Abschnitt aber auf jeden Fall anschneiden, die die Szene
zu Unrecht in ein schlechtes Licht gerückt haben.
Zunächst möchte ich auf die politische Einstellung eingehen. Das Problem ist, die Gothic-Szene und Politik überhaupt in Zusammenhang zu bringen. Was die Menschen verbindet, sind Musik und Lebensgefühl, nicht aber bestimmte politische Ziele. Im Gegenteil, Goths halten sich aus politischen Kämpfen und Zielverfolgungen lieber heraus. Verwickelt man sie aber in ein Gespäch über ihre politischen Ansichten, wird man eher eine linke Orientierung feststellen.
Besonders betonen möchte ich, daß
die Gothic-Szene nichts, rein gar nichts mit faschistoidem Gedankengut zu tun
hat, wie es die Presse gerade nach dem Massaker in Littleton leider zu gern
zu behaupten pflegte. Die bisherigen Ausführungen sollten verdeutlicht haben,
daß rechsradikale Ideen im krassen Gegensatz zu den Bedürfnissen der Goths stehen.
Ich kenne die genauen Umstände in Amerika leider nicht; nach A. Porter [5] scheint
sich die Szene dort aber nicht wesentlich von der hiesigen zu unterscheiden.
Falls solch orientierte Menschen sich dort wirklich Goth nennen, hat das nichts
mehr mit der ursprünglichen Idee der Bewegung gemein außer dem Namen. Andererseits
ist eine Person, die einen schwarzen Trenchcoat trägt und Rammstein hört, noch
lange kein Goth.
Dennoch gibt es Musikgruppen sowie vereinzelte Szenemitglieder mit solchen Tendenzen, die sich auch in der deutschen Szene bewegen. Sie finden hier allerdings keine Gegenliebe und rufen eher Aktionen wie die in Bremen gegr"undeten {\em Grufties gegen Rechts} hervor. Man sollte sich aber auf eine Diskussion, wo die Goths nun einzuordnen seien, gar nicht einlassen, da die Intention dieser Bewegung nichts mit politischen Zielen zu tun hat.
Ein weiteres beliebtes Thema ist
die Religion der Goths. In der Presse werden sie gerne als Grabschänder, und
Katzen oder ähnliches opfernde Satanisten hingestellt. Nun, bibeltreue Christen
wird man unter ihnen selten finden, denn eingefahrene Institutionen werden in
Frage gestellt. Durch ihren Sinn für Romantisches, Mystisches und generell Andersartiges
liegt freilich auch ein Interesse an alten Religionen nahe. Es beschäftigt sich
nicht gerade die Mehrzahl mit alten Religionen, aber vermutlich wird man hier
eher jemaden mit diesen Intressen finden, als anderswo.
Einige setzen sich auch mit sog.
schwarzer Magie auseinander, was aber noch kein Praktizieren selbiger bedeutet.
Mir und allen befragten Personen ist jedenfalls niemand bekannt, der irgendwelchen
Riten, in denen derart grausige Dinge getan wurden, beigewohnt hätte. Und auch
hier gilt wieder: Wenn solche Menschen, die dabei erwischt werden, schwarze
Kutten tragen, sind sie noch lange keine Goths. Es mag Goths geben, die so etwas
tun, diese stehen jedoch noch lange nicht für die ganze Szene. Man degradiert
man ja auch nicht alle Menschen als Satanisten, wenn man über einen solchen
etwas derartiges liest.
Auf die Frage, warum sie z.B. umgedrehte
Kreuze als Schmuck tragen (das Symbol für Satanismus), möchte ich antworten,
daß es hier üblicherweise um Provokation oder allenfalls um Kritik an der christlichen
Kirche geht, aber nicht um die Verkündung des Satanismus. überhaupt werden viele
mystische Symbole als Schmuck nur getragen, weil sie schön aussehen. Den wenigsten
sind die genauen Bedeutungen wirklich klar oder wichtig. Goths haben einen ausgeprägten
Sinn für äußerliche Ästhetik, dafür werden eben auch formschöne Schmuckstücke
herangezogen. Auch Porter [5] sieht diesen Zusammenhang ähnlich.
Die meisten Goths werden sich eher
als Atheisten denn als Anhänger bestimmter Religionen bezeichnen.
Der Widerstand richtet sich ursprünglich
aber auch gegen Kommerz und Mainstram. Leider gibt es diesen Mainstream in der
Gothic-Szene ebenfalls. Die Mode wandelt sich hier ebenso, wenn vielleicht auch
nicht so schnell und vehement wie die allgemein propagierte. Dennoch werden
schnell neue Richtungen eingeschlagen, wenn es die meisten anderen auch tun.
In ähnlicher Form ist es bei der Musik. Unabhängig von den erwähnten Kult-Bands
gibt es immer wieder neue Musik-Moden, denen die breite Masse innerhalb der
Szene folgt und mit denen neue und ältere Bands Geld oder Ansehen erlangen möchten.
In dieser Weise wird der vormals angestrebte Individualismus wieder untergraben.
Und insbesondere kann man an diesem Punkt auch nicht mehr von der sogenannten
Independent Musik sprechen, denn innerhalb der Szene haben es die wirklich unabhängigen
Bands ebenso schwer wie außerhalb.
Eine nicht unerhebliche Rolle spielen
dabei die Medien. Sie haben ein besonderes Interesse an Subkulturen und fördern
damit die Kommerzialisierung. "Sie ermöglichen auch ihre partielle Durchsetzung
durch die mit der Kommerzialisierung verbundenen Verbreitung. Medien verkürzen
gewissermaßen die Halbwertszeit von Jugendkulturen" (nach Vollbrecht, [8]).
So ist für viele der Gothic ein
durch die Medien geschnürtes "Paket" [8], welches nur noch assimiliert zu werden
braucht. Dadurch ist die Identifikation mit dieser Bewegung oft nur halbherzig
und die eigentlichen Werte bleiben wegen fehlendem Engagement auf der Strecke.
Es ist auch fraglich, ob die Gothic-Szene
wirklich eine Gemeinschaft von Menschen mit gemeinsamen Interessen ist. Viele
vermissen gerade einen gemeinschaftlichen Aspekt, der die Menschen zusammenhält
und ein gemeinsames Interesse an den jeweils anderen Menschen verkörpert. Auf
den entsprechenden Parties treffen sich viele Menschen, die ähnliche Musik hören
wollen und größtenteils dunkel, teils extravagant gekleidet sind. Aber dennoch
bleiben die einzelnen Cliquen zumeist unter sich.
Die Gothic-Szene ist eine Independent-Kultur,
und sie entspricht auch zum Teil den Merkmalen, die im Referat über das Thema
Independent angesprochen wurden: Der Einzelne möchte sich von der Masse
absetzen, um aber dem Wunsch nach Anerkennnung nachzukommen, schließt er sich
einer vorhandenen Subkultur an. Einher damit geht auch die Selbstinszenierung.
Im Gothic manifestiert sich diese hauptsächlich im Outfit. Auch eigene musikalische
Aktivität zeigt sich in diesem Umfeld in besonderem Maße. Und obwohl sich viele
Personen als offen und neugierig gerade in Bezug auf das Musikgeschehen bezeichnen,
ist ihr Musikgeschmack eher in einem bestimmten Rahmen festgelegt.
Eine interessante Parallele ist
im Vergleich zum Hardcore festzustellen: Im Referat zu diesem Thema
wurde erwähnt, daß Hardcore, eine besonders harte Musik, inzwischen massentauglich
geworden ist. Auch im Gothic-Umfeld ist ein harter Sound immer populärer geworden.
EBM hat sich bis heute zu einer Art Techno für Goths (das Grundmuster von Techno
aber mit düsterer Stimmung) entwickelt. Industrial, eine Musikform, die sich
hauptsächlich auf industriellen Lärm stützt und häufig mit stampfenden Beats
unterlegt ist, ist inzwischen ebenfalls zum Gothic-Mainstream geworden. Andere
Musik hat die Härte vom Metal übernommen. Dies ist deshalb bezeichnend, weil
es nahelegt, daß es szeneübergreifend eine Tendenz in Richtung härtere Musik
gibt: Hardcore wird von den Medien und vom Publikum adaptiert, die Mainstream-Musik
ist vom Pop der 80er zum Techno der 90er mutiert und die Musik der Gothic-Szene,
vormals eher sanft, beinhaltet inzwischen gleichermaßen diese harten Elemente.
Die Gothic-Szene hat sich gewandelt.
Sie geht mit der Zeit und dementsprechend hinterläßt die Zeit mit ihren momentanen
Trends auch hier ihre Spuren. Gothic ist eine Jugendkultur, die den Jugedlichen
einen gewissen Rahmen gibt, mit dem sie sich indentifizieren können. So ein
Rahmen kann immer nur Richtungen weisen aber nie vollständig sein. Somit stoßen
jene Personen, die sich nicht in ein solches Rahmenwerk pressen lassen, schnell
an die Grenzen und müssen entscheiden, ob sie die Szenerie wieder verlassen
oder aber akzeptieren, daß sie einem bestimmten Stereotypen nicht entsprechen.
Trotzdem sind diese Grenzen in der
Gothic-Szene wiederum weit genug, um verschiedensten Menschen Platz zu bieten.
Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt, man muß sie nur nutzen. Die Subkultur
wehrt sich gegen die üblichen Tabus der Gesellschaft und hat ein Interesse daran,
ihre Werte zu ästhetisieren. Es gibt aber keine bestimmten Ziele oder Richtlinien,
denen sich ein Anhänger bedingungslos unterzuorden hätte. Sie bietet ein weites
Feld, in dem der Einzelne sich bewegen, betätigen und verwirklichen kann.
Das Copyright unterliegt der Autorin.
Verwendung ist nur erlaubt als Zitat mit Quellenangabe und nach Absprache mit
der Autorin Dorina Gumm. Bei Fragen, Korrekturvorschlägen u.a. mail
me.
Es liegt eine Korrektur vor im ps-Format. Insbesondere
sind Rechtschreibfehler korrigiert und sie enthaelt einzelne kleine
Umformulierungen. Abschluss
Die Subkultur des Gothic wendet
sich gegen althergebrachte Wertvorstellungen. Anhänger dieser Bewegung sind überwiegend
jugendlich und provozieren mit ihrem Outfit und Lebensstil vornehmlich Autoritätspersonen.
Somit trifft für die Gothic-Szene das zu, was laut Vollbrecht auch schon Hebdige
über Subkulturen allgemein festgestellt hat: "Hebdige betonte [...] die Widerständigkeit
der Subkulturen gegenüber dem (bürgerlichen) Establishment. Dieser Widerstand
[...] wird vor allem 'indirekt ausgedrückt: im Stil'" [8].
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